Zeichnungen im Sekundenstil
Die Zeichnungen entstanden zwischen 1999 und 2006 als Eroberung eines Möglichkeitsraumes für maximal-spontane Bild-Ausdrücke. Die Zeichnungen sind lose Blätter, Fetzen, Kugelschreiber-Kritzeleien. Sie anzufertigen dauerte in den meisten Fällen kaum mehr als einige Sekunden. Ihre Strukturen dauern indes Jahre, sie scheinen mir geradezu zeitlos. In schneller Bewegung per Hand gezeichnet, entspringen einem Moment der Gleichzeitigkeit von hoher Konzentration und Selbstvergessenheit.
In die ersten Zeichnungen mischte sich noch eine Art geistige Überlegung. Dann entwickelte sich allmählich der Sekundenstil. Nach einer Besinnungsphase wird innerhalb weniger Sekunden auf dem freien Blatt die Zeichnung begonnen und vollendet. Die japanischen Meister des Blumenstellens und Bogenschießens, die sich, nachdem sie den ganzen Tag achtsam beobachtet haben einen kurzen Moment lang lösen und konzentrieren bevor sie ihre meisterliche Tätigkeit beginnen, waren Vorbilder bei dieser Art des Zeichnens.
Einige dieser Zeichnungen setzen sich thematisch mit dem Minotaurus-Mythos, insbesondere mit der surrealistischen Adaption dieses Mythos durch Künstler des 20. Jahrhunderts, allen voran Pablo Picasso, auseinander. Der Minotaurus ist ein Mischwesen des Unbewussten der sich dionysisch in die apollinische Welt von Künstler und Modell einfügt und ein zentraler Bestandteil der orgienhaften Wiederholung einer feierlichen Zeitlosigkeit ist. Der Held Theseus tötet den Minotaurus immer wieder und löst dadurch Mitleid und Bedauern aber auch Furcht und Faszination unter den Frauen aus, die von ihm geliebt wurden. Die Auseinandersetzung mit dem Minotaurus im druckgraphischen Werk Picassos wurde seinerzeit in einer theoretischen Arbeit (als E-Book erschienen) fortgeführt.
Neben der antiken Sagenwelt ("Archimedes Tod", "Minotaurusgelage") gibt es noch drei andere Themenfelder, mit denen sich die Zeichnungen auseinandersetzen: Portraits von Personen oder Beziehungen ("Hanna haut", "Liebespaar im Bett") Bilder über Kunst ("Bildbetrachtung", "Bildnis des Galeristen") und Illustrationen von Szenen aus dem Alten Testament ("Schwere See", "der alttestamentarische Gott ernennt Abraham zu irgendetwas").
Literatur:
Costello, Anita Coles: Picasso`s Vollard Suite, London 1978.
Gauthier, Xaviere: Surrealismus und Sexualität. Inszenierung der Weiblichkeit. 2.Auflage.
Berlin 1980.
Herrigel, Eugen: Zen in der Kunst des Bogenschießens. 1984.
Müller, Markus (Hrsg.): Pablo Picasso, Suite Vollard, Münster 2002.
Ovid: Metamorphosen. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht.
Velten, Bert: Picasso und der Minotaurus. Eine kunstgeschichtliche Analyse der Minotaurus-Figur im druckgraphischen Werk Pablo Picassos. Münster 2002. Als E-Book 2012.